Baukunst - Schwitzen war gestern: Warum die Hitze-Architektur der Biennale mehr ist als heiße Luft
Pavilion of te Kingdom of Bahrain. © Andrea Avezzù . Courtesy of 2025 Venice Architecture Biennale

Wenn Architektur atmet: Urbane Hitzearchitektur als poetische Antwort auf den Klimawandel

23.07.2025
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Stuart Rupert

Die Poesie der Kühle

In den glühenden Straßen von Manama, wo die Sonne unbarmherzig auf Beton und Asphalt brennt, erhebt sich eine Struktur, die wie ein lebendiges Wesen zu atmen scheint. Der mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Bahrain-Pavillon auf der Venedig Biennale 2025 ist mehr als nur ein Gebäude – es ist eine sinnliche Meditation über die Beziehung zwischen Mensch, Architektur und Klima. Hier manifestiert sich eine neue Formensprache, die aus der Not eine Tugend macht und aus der Hitze eine Inspirationsquelle schöpft.

Die Hitzearchitektur des 21. Jahrhunderts ist keine rein technische Antwort auf steigende Temperaturen. Sie ist vielmehr eine kulturelle Revolution, die unsere tiefsten Vorstellungen von Raum, Material und menschlichem Wohlbefinden neu definiert. Wie ein Bildhauer, der aus einem rohen Steinblock eine lebendige Form befreit, befreien moderne Architektinnen und Architekten aus der Herausforderung extremer Hitze eine neue ästhetische Sprache.

Zwischen Tradition und Innovation: Die Renaissance der Windtürme

Der “Heatwave”-Pavillon des Teams um Alexander Puzrin von der ETH Zürich und Andrea Faraguna verschmilzt jahrtausendealte Weisheit mit modernster Technologie zu einer poetischen Synthese. Die traditionellen Windtürme Bahrains – diese eleganten Finger, die gen Himmel zeigen – werden hier neu interpretiert als aerodynamische Skulpturen, die heiße Luftströme in tiefe geothermische Brunnen und hohe Solarkamine leiten.

Es ist, als würde die Architektur selbst zu einem Musikinstrument werden, das die unsichtbaren Ströme der Atmosphäre in eine Symphonie der Kühlung verwandelt. Die zentrale Säule trägt ein auskragendes Dach, das wie ein schützender Schirm über dem Raum schwebt – eine moderne Interpretation des archetypischen Schutzes, den Menschen seit Anbeginn der Zeit suchen.

Materialität als emotionale Erfahrung

Die Haptik der Materialien spielt in der urbanen Hitzearchitektur eine zentrale Rolle. Poröse Oberflächen, die Feuchtigkeit speichern und langsam verdunsten lassen, schaffen nicht nur ein angenehmes Mikroklima, sondern auch eine taktile Erfahrung, die an feuchte Morgentau erinnert. Thermisch träge Massen aus lokalem Stein oder Lehm werden zu Zeitspeichern, die die Kühle der Nacht bewahren und tagsüber abgeben – wie geologische Batterien, die im Rhythmus der Tageszeiten pulsieren.

Diese Materialästhetik geht weit über funktionale Aspekte hinaus. Sie schafft Räume, die alle Sinne ansprechen: das Auge erfreut sich an den changierenden Schattenspielen perforierter Fassaden, die Haut spürt den kühlenden Luftzug, das Ohr vernimmt das beruhigende Plätschern von Wasserelementen. Es ist eine Architektur, die den Menschen ganzheitlich umarmt.

Licht und Schatten: Die Choreografie der Sonne

In der Hitzearchitektur wird das Spiel von Licht und Schatten zur zentralen gestalterischen Kraft. Mashrabiyas – diese filigranen Gitterwerke der islamischen Architektur – werden neu interpretiert als parametrisch gestaltete Fassaden, die je nach Sonnenstand ihre Durchlässigkeit verändern. Sie tanzen mit der Sonne, schaffen im Inneren ein sich ständig wandelndes Kaleidoskop aus Licht und Schatten, das den Raum lebendig werden lässt.

Diese dynamische Lichtführung ist mehr als nur Schutz vor der Sonne. Sie wird zur narrativen Struktur des Raumes, erzählt die Geschichte des Tages, markiert die Stunden wie eine Sonnenuhr und schafft eine meditative Atmosphäre, die zur Kontemplation einlädt. Es ist, als würde die Architektur die Zeit selbst sichtbar machen.

Soziale Räume neu denken

Die urbane Hitzearchitektur revolutioniert auch unser Verständnis von öffentlichen Räumen. Plätze und Parks werden zu klimatischen Oasen umgestaltet, die durch geschickte Verschattung, Verdunstungskühlung und intelligente Luftführung zu sozialen Magneten werden. Diese Räume sind nicht nur funktional kühl, sondern emotional warm – sie laden zum Verweilen ein, fördern Begegnungen und schaffen Gemeinschaft.

Die modulare Struktur des Bahrain-Pavillons zeigt exemplarisch, wie flexibel und anpassungsfähig diese neue Architektur sein kann. Wie organische Zellen können die Module zu größeren Strukturen wachsen oder sich an verschiedene urbane Kontexte anpassen. Diese Flexibilität ist nicht nur praktisch, sondern auch metaphorisch: Sie spiegelt die Anpassungsfähigkeit wider, die wir als Gesellschaft im Angesicht des Klimawandels entwickeln müssen.

Die Ästhetik der Nachhaltigkeit

Die wahre Schönheit der urbanen Hitzearchitektur liegt in ihrer inhärenten Nachhaltigkeit. Gebäude, die ohne externe Energiezufuhr ein angenehmes Klima schaffen, verkörpern eine neue Form von Eleganz – die Eleganz der Effizienz. Diese Architektur feiert die Intelligenz natürlicher Systeme und macht sie sichtbar, erfahrbar, bewunderbar.

Es ist eine Ästhetik, die sich von der glatten Perfektion klimatisierter Glaspaläste abwendet und stattdessen die raue Schönheit adaptiver Systeme zelebriert. Wie die Projekte VAMO und Insieme auf der Biennale zeigen, können recycelte und natürliche Materialien zu einer neuen Formensprache führen, die sowohl archaisch als auch futuristisch anmutet.

Vision für morgen

Die urbane Hitzearchitektur ist mehr als eine technische Lösung für ein klimatisches Problem. Sie ist eine kulturelle Bewegung, die unsere Beziehung zur gebauten Umwelt neu definiert. Sie lehrt uns, mit dem Klima zu bauen statt gegen es, die lokalen Gegebenheiten zu respektieren statt sie zu ignorieren, und Schönheit in der Anpassung zu finden statt in der Dominanz.

Wenn wir durch die schattigen Arkaden dieser neuen Architektur wandeln, spüren wir nicht nur die physische Kühlung, sondern auch eine emotionale Beruhigung. Diese Räume flüstern uns zu, dass eine andere Zukunft möglich ist – eine Zukunft, in der Architektur nicht nur Schutz bietet, sondern auch Inspiration, nicht nur Funktion, sondern auch Poesie. Es ist eine Architektur, die atmet, die lebt, die mit uns und unserer Umwelt in Dialog tritt. Und in diesem Dialog liegt die Hoffnung auf eine lebenswerte urbane Zukunft.